Der Gedankenbildeprozess und die Anwendung auf das Wetter

Heinz Grill skizziert in seinem Buch „Die Seelendimension des Yoga“ im Kapitel „Das ājñā-Chakra und die Entwicklung einer frei schaffenden Gedankenkraft“ auf meditative Weise den Gedankenbildeprozess am Beispiel eines Kristalls:

Der Kristall ist lichtdurchlässig und daher ein Ausdruck für eine aus dem Lichte geschaffene Form. Seine Struktur ist außerordentlich regelmäßig und deshalb bleibt er für das Licht transparent oder man kann sagen, er bleibt dem Licht treu. Fremde Strukturen sind noch nicht in ihn eingedrungen. Der Gedanke wird zum übersinnlichen Auge, solange er in Reinheit verbleibt. So befinden sich der reine Gedanke wie auch der eine Kristall durch ihre Lichtaffinität in einer bemerkenswerten Analogie. Die geistige Welt erscheint wie geschlossen im Zusammenhang mit diesem Gedanken und die irdische Welt zeigt sich empfänglich wie eine Schale. Würde nun der Gedanke sich seiner Wahrheit entledigen, sich mit Projektionen oder unsoliden Gefühlen vermischen, so gliche er auch einem gestürzten Kristall, der Fremdstoffe in sich einlagert und diese ihn nicht mehr lichtdurchlässig erscheinen lassen.“

Dies ist nun eine sehr bildhafte Beschreibung, deren Bedeutung sich in ihrer Tiefe erst mit der Zeit erschließen kann, denn es ist zunächst eine äußerst ungewöhnliche Vorstellung, die dem normalen wissenschaftlichen Verständnis zu widersprechen scheint. Allein schon die Formulierung „Ausdruck für eine aus dem Lichte geschaffene Form“ wird wohl gern gleich einmal einen Widerspruch auslösen. Derjenige, der sich gedanklich an der gegenständlichen Materie orientiert, wird vermutlich schnell entgegnen: Eine Form wird aus der Materie geschaffen, nicht aus dem Lichte. Eine solche Entgegnung ist sehr typisch für unsere heutige Denkweise. Bevor sich jemand erst einmal neutral auf einen neuen Gedanken einlässt, auf diesen zugeht, und sich sagt: Naja das prüfe ich einmal, vielleicht gibt es ja bestimmte Voraussetzungen, unter denen dieser Gedanke wahr sein kann, tritt zuerst so etwas wie automatisierter Prozess ein, der den Einzelnen dazu bewegt, reaktiv aus seinem „Bauchgefühl“, seinen Erfahrungen, seinem bisher erlernten Wissen und seinen inneren Gefühlen einen Widerspruch zu setzen, ob dieser nun geäußert wird oder nicht. Es wird also häufig einer neuen These gleich einmal das „Eigene“ darauf projiziert, ohne diese vorher gründlich auf „Herz und Nieren“ zu prüfen und dann erst ein Urteil zu fällen anhand der dadurch neu gewonnenen Erkenntnisse. 

Genau das ist aber auch das entscheidende Element, dass Menschen – meist ohne darüber näher nachzudenken – glauben, ein solcher Satz könne sich nicht aus sich selbst erschließen und objektiv wahr sein bzw. einen anderen zu einer tieferen Erkenntnis führen, die er bisher noch nicht hatte. Als Ergebnis wird dann gern gesagt, eine Anschauung wird immer subjektiv sein und bleiben.

Interessanterweise weist vom Standpunkt der Quantenphysik aus gesehen das Licht einen Wellen- und Teilchendualismus bzw. -charakter auf, was bedeutet, dass einmal das Licht als Welle gesehen werden kann und ein andermal als Teilchen, als Photon. Licht kann sich an der Materie reflektieren, es kann an transparenten Kristallen oder beispielsweise an Wassertröpfchen gebeugt und abgelenkt werden und sich in verschiedene Farben aufspalten so wie dies beispielsweise am siebenfarbigen Regenbogen nach einem Gewitter sehr schön beobachtet werden kann.

Ein wesentliches Kriterium für eine Auseinandersetzung mit einem spirituellen bzw. meditativen Gedanken ist es daher, zuerst einmal vorurteilsfrei und neutral eine Aussage als eine Art Arbeitshypothese unter verschiedenen Gesichtspunkten so lange zu prüfen und ein vorschnelles Urteil zurückzuhalten, bis ein gut gesichertes Ergebnis errungen ist.

Weiterhin ist es günstig, sich solche – nicht gleich verständliche Sätze – einmal bildlich vorzustellen, sie mental in Gedanken als Bilder zu erbauen. Wenn von einer aus dem Lichte geschaffenen Form gesprochen wird, kann jeder Interessierte diesen Gedanken vorurteilsfrei zu einem Bild erbauen und diese Vorstellung einfach einmal kreieren, ohne gleich alle möglichen Einwände zu erheben. Im Lichte müssen also Kräfte vorhanden sein, die es ermöglichen, dass eine Form aus Licht geschaffen wird.

Ein Diamant in seiner idealen Kristallform ist ein sehr reiner Kristall aus Kohlenstoff, der keine Fremdeinschlüsse anderer Teilchen oder Stoffe enthält, der lichtdurchlässig und transparent ist. Sind Fremdeinschlüsse z.B. anderer Metalle enthalten, dann sind dies größere oder kleinere Teilchen, die in der Gitterstruktur eingelagert sind und dann dem Kristall eine andere Farbe geben. Reiner Kohlenstoff in einer anderen Gitterstruktur erscheint z.B. als Graphit in der Farbe schwarz. 

In der Chemie weiß man, wenn Kristalle gezüchtet werden aus übersättigten Lösungen, dass die schönsten Kristalle wachsen, wenn die Lösung ruhig stehen bleibt, nicht bewegt wird und ein etwa gleiches Temperaturniveau erhalten bleibt.

Weiter wird in dem o.g. Zitat gesagt, dass der Gedanke zu einem übersinnlichen Auge wird, wenn er rein bleibt. Würde er sich der Wahrheit entledigen, sich mit Projektionen oder unsoliden Gedanken vermischen, so gliche er einem gestürzten Kristall, der Fremdstoffe in sich einlagert und diese ihn nicht mehr lichtdurchlässig erscheinen lassen.

Was kann dies bedeuten für die nachfolgende Betrachtungsübung?
Ganz praktisch gesehen bedeutet es, dass das betrachtete Objekt, in diesem Falle das Wettergeschehen von Fremdeinflüssen unberührt bleiben soll, also frei von subjektiven Zugriffen, eigenen Projektionen usw., damit es „rein“ bleibt, keine Fremdstoffe einlagert und als Objekt unverfälscht gesehen und erkannt werden kann.

Dies soll nun keine abschließende Erklärung oder Erläuterung des vorgestellten Zitats zum Gedankenbildeprozess darstellen, sondern nur eine erste mögliche Form der Annäherung mit dem Umgang einer meditativen bildhaften Beschreibung sein.

Wetterquiz

Ich möchte nun diesen Gedankenbildeprozess anhand einer Betrachtung eines Wetterbeispiels bzw. Wetterquiz veranschaulichen.

In dem Video „Morgenstimmung“ werden einige Bilder gezeigt, die in der Nähe von Rosenheim im Alpenvorlang gegen 7 Uhr morgens an einem Oktobertag aufgenommen wurden.

Es geht nun nicht darum, Meteorologiekenntnisse abzufragen oder zu vertiefen, sondern mehr darum, sich einmal einen Eindruck von Wolkenstimmungen auch ohne derartige Kenntnisse, ohne vorher gehörten Wetterbericht zu verschaffen.

Der bequeme Mensch bemüht sich heute meist nicht mehr darum, sich mit dem Wetter intensiver auseinander zu setzen, sondern schaltet lieber den PC, das Handy, das Radio oder das Fernsehen ein, um sich die Wettervorhersage melden zu lassen. Mancher stellt es vielleicht sogar in Frage, ob es möglich sei, auch ohne meteorologische Kenntnisse, technische Instrumente wie Höhenmesser, Temperaturmessungen, professionelle Wettervorhersagen, Wetterballons, komplizierte Rechensysteme und Wetterbeobachtungsstationen das Wetter zu mindestens für einen kurzen Zeitraum vorherzusagen. Vor einigen Jahrzehnten, als es diese technischen Hilfsmittel nicht in diesem Ausmaße gab, mussten vor allem der Landwirt, der Bergsteiger oder alle diejenigen, die vom Wetter in irgendeiner Weise abhängig waren, ohne Wettervorhersage Entscheidungen treffen, ob sie nun den Einstieg in eine schwierige Klettertour im Karwendel beispielsweise wagen können oder ob der Bauer sein Heu vielleicht noch einen Tag länger draußen liegen lassen kann, damit es besser trocknet, bevor er es einfährt. Dazu war es notwendig, genau das Wetter über die Tage hinweg zu beobachten. Nach jahrzehntelanger Erfahrung und vieler Vergleiche wussten diese Menschen dann schon in etwa anhand bestimmter Wolkenformationen, Winde und vielem mehr, wie das Wetter in den nächsten Tagen werden würde. Heute fällt es auf, dass manche Menschen lieber in ihr Handy schauen, was beispielsweise „Wetter-Online“ zum Wetter am Nachmittag sagt, als selbst die Augen zu öffnen, den Blick vom Handy abzuwenden und aktiv und interessiert nach draußen zu blicken, was sich denn am Himmel alles so abspielt.

Erfahrungsgemäß zeigt sich nach einiger Zeit an Beobachtungen, dass sich durch die Vergleiche, das Reflektieren der Wettergeschehnisse, der Temperaturen, der Beobachtung von Wolkenbildungen schon ein erstes feineres „Gefühl“, um noch nicht tiefere Empfindung zu sagen, einstellt, das erste Hinweise auf die Wetterentwicklung gibt und das kommende Wetter bereits erahnen lässt. 

Welche Kriterien sind dafür notwendig? 

Wie bereits angedeutet, beobachtet der Interessierte die Wolkenentwicklung, die Farbe der Wolken, die Farbe des Himmels und in etwa, wie sich die Wolken innerhalb eines bestimmten Zeitraumes entwickeln.

Dann wendet er den Blick ab und erschafft das Gesehene noch einmal neu in seiner Vorstellung. Er stellt also regelrecht das gesehene Bild, so als ob er es mental nachmalen würde, vor seine Augen außerhalb des Körpers, etwa 20 – 30 cm von den Augen entfernt, vor sich hin, und betrachtet dieses neu kreierte Bild einige Minuten lang.

Aufkommende vorschnelle Antworten, angelesenes oder bereits erfahrenes Wissen stellt er ruhigen Herzens beiseite, Wünsche, die Antwort, wissen zu wollen, werden bemerkt, aber ignoriert, und alle anderen gedanklichen Störeinflüsse für diesen Zeitraum ebenfalls auf die Seite gestellt, um die Beobachtung auf das neu geschaffene gedankliche Bild nicht zu verschatten. Sie sind für den Zeitraum der Übung unwichtig. Liese man diese zu, würde man Fremdeinflüsse, subjektive Gefühle, fremde Ideen wie in dem vorgenannten Bild des zuvor reinen Diamanten einlagern und das Bild verdunkeln mit eigenen Projektionen, die darüber gestülpt werden und das Ergebnis verfälschen würden.

Nachdem eine erste Gedankenruhe eingekehrt ist, können verschiedene Fragen hinzugenommen werden:

Welchen Eindruck und welchen Effekt haben die verschiedenen Wolkenformationen, Wind-, Licht- und Wetterverhältnisse auf den Menschen allgemein?

Welche Wirkung werden sie für den weiteren Wetterverlauf freisetzen?

Wie wird das Wetter am Nachmittag?

Allgemein ist es günstig, eine solche Übung mehrmals zu wiederholen, damit sich die Eindrücke vertiefen können und das Bild sich aussprechen kann. Die Antwort wird aus dem geschaffenen Bild auf den Betrachter zukommen. Das ist ein Prozess, der abgewartet werden muss und willentlich nicht erzwungen werden kann. Wie schnell die Antwort auf den Betrachter zukommt, hängt von mehreren Faktoren ab, beispielsweise von der aufgebrachten Ruhe, der Qualität des kreierten Bildes und der Disziplin, störende Gedanken, die nicht zur Frage hinzugehören.

Die Antwort selbst wird sichtbar in dem folgenden Video, das die Nachmittagsstimmung in der Gegend zeigt. Vielleicht kann ja die Neugierde, die Auflösung wissen zu wollen, zurückgehalten werden, um die Erfahrung aus der Übung selbst gewinnen zu können?